Messbare Ziele, verbindliche Verpflichtungen sowie verantwortungsbewusste Führung in der Lieferkette bilden die Grundlagen für ganzheitlich nachhaltiges Handeln. Doch während diese Punkte auf der internationalen Bühne hoch auf der Agenda stehen, hinkt Deutschland hinterher. Nur 36% der Befragten auf Management-Ebene hierzulande geben an, dass es zu den Aufgaben des Einkaufs gehört, die Lieferketten verantwortungsbewusst zu führen. Auf internationalem Level sind es fast die Hälfte. Ähnliche Tendenzen zeigen sich auch in Bezug auf realistische Zielsetzung und Datenerfassung zur Messbarkeit von Nachhaltigkeitserfolgen. Doch warum läuft die Implementierung in einem Land, das im Bereich nachhaltige Innovation weit vorne steht, so schleppend voran?

Die Forderung nach mehr Nachhaltigkeit kommt aus vielen Richtungen: von Konsumenten über eigene Mitarbeiter bis hin zu Investoren. Letztere schauen sich dabei besonders an, inwiefern Unternehmen aktiv in nachhaltige Ziele und deren Umsetzung investieren. Stecken auf internationaler Ebene fast die Hälfte aller befragten Entscheidungsträger Mittel in Projekte zur Umweltverträglichkeit, sind es in Deutschland nur 35%. Die strategischen Prioritäten liegen stattdessen in der Verbesserung der Mitarbeiterzufriedenheit (75% der Befragten), Umsatzmaximierung (72%) und in der Verbesserung des Produkt- oder Dienstleistungsangebots (71%). Zwar wird eine nachhaltige Transformation dadurch angestoßen, dass Geldgeber sie ultimativ einfordern, doch dieser Anreiz scheint noch nicht bei allen deutschen Unternehmen angekommen zu sein.

Dies betrifft insbesondere den Mittelstand, welcher in Deutschland stark ausgeprägt ist. Schwierigkeiten in der Beschaffung und die Qualität von Daten sowie komplexe Berichtspflichten innerhalb eines sich schnell wandelnden regulatorischen Umfelds stellen für sie ein Hindernis dar. Außerdem besteht die Gefahr, dass kleinere, innovative bzw. schnell wachsende Firmen durch fehlende oder schlechte ESG-Ratings von den Nachhaltigkeitsstrategien in institutionellen Portfolien ausgeschlossen werden. 

Das Erheben und Analysieren relevanter Nachhaltigkeitsdaten sind zudem eng mit der Nutzung von digitalen Tools verknüpft. Dass Nachhaltigkeitstransformation und Digitalisierung Hand in Hand gehen, ist bei der stark wachsenden, auf Nachhaltigkeitsperformance fokussierten digitalen Landschaft nicht abzustreiten. Der Anpassungsprozess digitaler Strukturen in Deutschland gestaltet sich jedoch langsam. Neben dem Defizit an hohen Internetgeschwindigkeiten und zögerlichem Verhalten der Bundes- und Landesregierungen, könnte dies auch an der mangelnden Bereitschaft mittelständischer Unternehmen liegen, ihre traditionellen Arbeitsweisen zu ändern. 

Auch weitere kulturelle Aspekte sind nicht zu unterschätzen: Die deutsche Gesellschaft ist historisch durch eine stark bürokratische Denkweise geprägt, welche oft im Widerspruch mit disruptiven Ansätzen und Technologien steht. Während anderswo auf letztere mit „Why not?“ reagiert wird, herrscht in Deutschland tendenziell eher eine „Yes but“-Mentalität vor. Eine weitere Herausforderung ist die große Skepsis gegenüber dem Austausch und der Zusammenführung von Daten, die dazu führen kann, dass sich datenintensive Nachhaltigkeitsinitiativen in Deutschland weniger erfolgreich durchsetzen lassen.

Wie bereits erwähnt ist die Durchsetzung einer nachhaltigen Agenda eine Frage der Priorität. In Zeiten zunehmender Krisen und Unsicherheit werden andere Themen (z.B. Energiekrise, Lieferkettenengpässe) bevorzugt behandelt. Ressourcen werden daher auf als akuter wahrgenommene Themen fokussiert. Das Verständnis, dass Versorgungskrisen jeglicher Art sich zukünftig häufen und verschlimmern werden, wenn nicht heute radikal nachhaltig gehandelt wird, fehlt. Nachhaltigkeit wird vielerorts noch immer als separates Thema gesehen, was zusätzlich zu anderen Strategien implementiert wird. Dass sie sich wie ein Schirm über alle Geschäftsbereiche und -aktivitäten spannen muss, um langfristig schützen zu können, ist noch nicht in den Köpfen aller Entscheidungsträger angekommen. Kann hier kein Bewusstseinswandel herbeigeführt werden, wird die Abwärtsspirale Fahrt aufnehmen und immer schwerer zu bremsen sein.

Nachhaltigkeit steht in Deutschland auf der Agenda, aber wir haben den Startschuss verpasst.  Um aufzuholen, müssen Unternehmen den aktiven Austausch mit Investoren suchen sowie die Kommunikation und Implementierung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie in den Vordergrund rücken. Mögliche Maßnahmen wären beispielsweise das Schulen von Management und Aufsichtsrat sowie die Kopplung von variabler Vergütung an das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen. Es liegt jetzt an uns, aufzuholen, um Klimaziele zu erreichen und langfristig eine Vorbildfunktion zu übernehmen.