Künstliche Intelligenz prägt die Art und Weise, wie Unternehmen Effizienz, Einsparungen und Innovationen im Einkauf realisieren. In einem aufschlussreichen Gespräch, moderiert von Malcolm Harrison (Senior Advisor bei Efficio und ehemaliger CPO bei Nestlé), diskutierten Ninian Wilson (CEO, Vodafone Procurement Company) und José Oliveira (Head of AI Practice, Efficio) die Chancen und Herausforderungen, die mit dem Einsatz von KI im Einkauf verbunden sind.

Sie diskutierten, wie KI den Einkauf verändert und verbessert, und präsentierten dazu praxisnahe Beispiele für Effizienzsteigerungen. Im Gespräch wurden zudem Fragen wie „Make or Buy“, typische Fallstricke für Einkaufsteams, Herausforderungen bei der Implementierung sowie zentrale Aspekte für die erfolgreiche Einführung von KI-Tools behandelt.

Im Folgenden finden Sie einen Auszug aus dem Gespräch. Die vollständige englischsprachige Webinar-Aufzeichnung zeigt darüber hinaus:

  • wie Integration, Benutzererfahrung und Datenqualität den Erfolg von KI im Einkauf bestimmen,
  • praxisnahe Beispiele für Effizienzsteigerungen in den Bereichen Beschaffung, Vertragsmanagement und Lieferantensteuerung,
  • sowie der Faktor Mensch bei der KI-Einführung – von neuen Fähigkeiten und Gewohnheiten bis hin zum Change-Management.

  • 1. Entwickeln oder kaufen?

    Malcolm Harrison: Wenn Sie an die Möglichkeiten von KI und Digitalisierung denken, welche Ansätze funktionieren besonders gut? Und wie stehen Sie zum Einsatz von KI-Tools von Drittanbietern im Vergleich zur Entwicklung eigener Lösungen?

    José Oliveira: Entscheidend ist, wie KI bestehende Tools und Lösungen sinnvoll erweitert und verbessert, nicht allein, was sie eigenständig generiert. Sie verändert grundlegend, wie wir Daten erfassen, anreichern, analysieren und miteinander verknüpfen. Verträge lassen sich heute viel schneller prüfen. Rechnungsdaten können rascher ausgelesen und zusammengeführt werden. Marktdaten stehen in höherer Qualität und Geschwindigkeit zur Verfügung. KI übernimmt heute bereits einen Großteil dieser Aufgaben.

    Zugleich kann KI bestehende Lösungen gezielt stärken, auch wenn in einigen Bereichen noch Entwicklungspotenzial besteht. Besonders deutlich wird das im Einkauf, beispielsweise bei S2P-Suiten, im ERFX-E-Sourcing oder in P2P-Prozessen. KI hilft, diese Abläufe neu zu denken und stärker dialogorientiert zu gestalten. Dafür sind eine sorgfältige Implementierung und Anpassung an die eigenen Anforderungen notwendig. Nur so lassen sich Risiken kontrollieren.

    Zur Make-or-Buy-Frage: Für große Unternehmen ist es keine Option, mit dem Kauf von Lösungen zu warten. Sie sehen bereits mehrere Anwendungsfälle, haben das Gefühl, dass es einsetzbar ist, und wissen, dass sie den Startknopf drücken und loslegen sollten. Meiner Meinung nach gibt es allerdings auch sehr gute Gründe, auf Eigenentwicklung „Make“ zu setzen.

    Gleichzeitig ist es wichtig zu bedenken, dass es auf dem Anbietermarkt derzeit erhebliche Umbrüche gibt. Daher könnte die Option „Buy“ sehr interessant sein. Es ist jedoch noch unklar, wer in zwölf oder achtzehn Monaten noch auf dem Markt sein wird, ob die Implementierungen so gut funktionieren, wie sie aktuell erscheinen, und wie gut sie sich mit anderen Aspekten integrieren lassen. Deshalb beobachten viele Unternehmen die Entwicklungen genau und es herrscht in Teilen eine gewisse Abwartehaltung – vielleicht sollte man noch etwas warten, bis sich einige Marktführer herauskristallisieren. Aktuell sehen wir noch keinen „Category Killer“ auf der Buy-Seite, und das ist die Herausforderung. Auf längere Sicht wird „Buy“ sicher noch mehr an Bedeutung gewinnen, doch schon heute lässt sich mit „Make“ sehr viel erreichen und gute Ergebnisse erzielen.

    Ninian Wilson: Wer sich weiterentwickeln möchte, benötigt bestimmte Kernkompetenzen. Viele Unternehmen bieten heute kostenlose Services an, um erste Erfahrungen zu sammeln und Fachwissen zu erlangen. Ich empfehle allen, sich weiterzubilden und von Anbietern zeigen zu lassen, was möglich ist. Mit mehr Wissen und Erfahrungswerten über die Technologie fällt die Entscheidung zwischen Eigenentwicklung und Zukauf wesentlich leichter.

  • 2. Wo KI am besten funktioniert und wo noch nicht

    Malcolm Harrison: Welche Prozesse oder Aufgaben eignen sich besonders gut für die Digitalisierung? Wo sehen Sie aktuell die größten Chancen, und was ist noch herausfordernd?

    José Oliveira: Wir sehen bereits heute einige vielversprechende Ansatzpunkte. Das Vertragsmanagement ist ein gutes Beispiel. Viele Dokumente müssen gelesen, verstanden, priorisiert und analysiert werden. Hier sorgt KI für eine deutliche Beschleunigung.

    Gleichzeitig gibt es die Erwartung, dass Prozesse künftig noch flüssiger deutlich dynamischer und datengetriebener ablaufen – also flexibler auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren. Dieses Ziel ist erreichbar, aber wir sind noch nicht ganz dort angekommen. Auch im Bereich der Kostenanalysen wie etwa beim Aufbau einer verlässlicher Kosten-Basis – bietet KI großes Potenzial. Die eigentliche Hürde liegt jedoch im Umgang mit den Ergebnissen: Ich kann Ihnen heute Informationen liefern, die vor sechs Monaten noch nicht verfügbar waren, doch die Art und Weise, wie sie diese Informationen aufnehmen und in Entscheidungen übersetzen, ist oft noch nicht da, wo sie sein sollte.

    Es braucht Zeit, um neue Arbeitsweisen zu verankern und neue Routinen und Denkweisen im Umgang mit diesen Tools zu entwickeln.

    Die zweite Herausforderung, insbesondere für Einkaufsleiter, ist Folgende: Ja, wir können uns auf das konzentrieren, was wir aktuell tun, und diese Aufgaben mit KI beschleunigen. Gleichzeitig sollten wir aber auch gezielt darauf schauen, was durch KI möglich wird, was bisher nicht ging. Wenn Sie sich überlegen, wie Ihr Team in zwölf Monaten aussehen sollte, dann wird es wahrscheinlich viel mehr recherchieren und analysieren als heute anstatt sich wie bisher häufig auf die Erstellung und Zusammenstellung von Dokumenten zu fokussieren.

    Ninian Wilson: Das sind wirklich sehr gute Argumente. Meiner Meinung nach ist ein Beschaffungsprozess ziemlich standardisiert. Man möchte wissen, was auf dem Markt angeboten wird, interne Anforderungen sammeln, eine kommerzielle Dokumentation zusammenstellen und einen gewissen Wettbewerb durchführen. Es gibt verschiedene Punkte, an denen KI wirklich helfen kann, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Es gibt keinen Grund, warum ein KI-Agent nicht den Entwurf der Ausschreibungsdokumente übernehmen könnte, insbesondere wenn man über eine große Datenbank mit früheren Projekten verfügt.

    Wir haben außerdem ein autonomes Beschaffungssystem entwickelt, das Lieferanten während des Ausschreibungsprozesses coacht und Feedback gibt. Früher erfolgte das manuell, etwa indem wir den Lieferanten beispielsweise Rückmeldung zu Arbeitsschutz und Sicherheit oder ihrer Technologie-Roadmap gaben und Vorschläge zur Verbesserung machten. Dieses dynamische Feedback kann jetzt von der KI übernommen werden.

    Was den Vertragsabschluss betrifft, stimme ich José vollkommen zu. Wir schließen jährlich 2.500 bis 3.000 Verträge ab und verfügen über eine Datenbank mit 30.000 Einträgen. Wir wissen genau, wo wir Zugeständnisse machen können und wo nicht. Diese Information stehen der KI datenbasiert zur Verfügung und können gezielt in Verhandlungen einbezogen werden. Zu Beginn könnte es sich eher um einfache Beschaffungsvorgänge handeln, die Sie mit KI durchführen, bevor sie auch bei strategischen Partnerschaften zum Einsatz kommen. Und natürlich ist, wie Jose bereits gesagt hat, der entscheidende Unterschied der Kontext Ihrer Kostenbasis und wie Sie diese analysieren und Erkenntnisse gewinnen. Ich denke also, dass dies für den Einkaufsbereich wirklich hilfreich sein kann. Wir gehen davon aus, dass sich die Zykluszeit für eine Ausschreibung durch KI um etwa 30 % verkürzen wird.

    Ein wichtiger Aspekt ist, dass unsere Lieferanten ebenfalls KI nutzen, um ihre Antwortdokumente zu erstellen. Es ist also teilweise eine KI-zu-KI-Kommunikation mit Diskussionen, Vorschlägen und Angeboten.

    Man kann das auf zwei Arten betrachten: Entweder man ist ein wenig nervös oder man kann begeistert sein. Ich persönlich bin begeistert. Josés Punkt zum Thema Veränderungsmanagement und zur Unterstützung der Menschen beim Aufbau neuer Gewohnheiten ist entscheidend. Viele Einkaufsmitarbeiter haben wenig Lust auf die mühsame Vorarbeit und stürzen sich lieber direkt in Verhandlungen. Daher muss man die DNA der Abteilung ein Stück weit neu formen und die Menschen dazu bringen, anders zu denken und neue Arbeitsweisen zu entwickeln. KI eröffnet hier neue Möglichkeiten: Während sie einen Großteil der Vorbereitungsarbeit übernimmt, können Einkaufsmitarbeiter gezielter recherchieren und daraus wirtschaftliche Vorteile ziehen. Die bleibende Herausforderung wird sein, einen echten Wettbewerbsvorteil zu schaffen – wenn alle mit denselben Tools arbeiten.

  • 3. Vorteile und ROI

    Malcolm Harrison: Ich habe wahrgenommen, dass Sie wiederholt von Geschwindigkeit gesprochen haben, Ninian. Ich nehme an, Sie denken auch an Einsparungen und Genauigkeit. Was sind für Sie die größten Vorteile, die durch KI im Einkauf erzielt werden können – Geschwindigkeit, Einsparungen, Genauigkeit oder etwas anderes? Können Sie eine Vorstellung davon geben, wie groß die Vorteile Ihrer Meinung nach sein könnten?

    Ninian Wilson: Wir rechnen mit einer Rendite von mehr als 20 zu 1 in diesem Bereich, also einen deutlichen Mehrwert, den diese Fähigkeit für das Unternehmen generiert. Ein Teil davon hängt mit der Geschwindigkeit zusammen, aber Sie müssen auch bedenken, dass die Lieferantenpartner ebenfalls KI implementieren. Es gibt also Effizienzgewinne innerhalb der eigenen Organisation, aber auch Wertschöpfung bei den Lieferanten, sodass wir alle auch davon profitieren wollen.

    Ich glaube, es gibt eine Tendenz zu sagen, dass KI alles lösen wird, aber für uns ist ein Teil davon auch RPA, also sehr einfache Robotik, die wir zur Qualitätsverbesserung nutzen. Es ist ähnlich wie bei Kryptowährungen oder Blockchain, wo es zu Beginn hieß, dass sie alle Probleme lösen würden. Man muss genau überlegen, wo welche Technologie am meisten Nutzen bringt. In manchen Bereichen können einfache Technologien den größten Effekt haben, während KI dort eingesetzt wird, wo sie wirklich Mehrwert schafft. Es geht um die richtige Balance.

    Wir sind in einer komfortablen Situation, weil wir ein einziges ERP-System im gesamten Unternehmen haben. Damit verfügen wir über eine einheitliche und verlässliche Datenbasis. Die Daten sind wahrscheinlich noch lange nicht perfekt, aber im Vergleich zu vielen anderen Unternehmen sind wir bereits gut aufgestellt. Man braucht solide Grundlagen, denn die Qualität der Erkenntnisse hängt direkt mit der Qualität der Eingangsdaten zusammen.

    José Oliveira: Wir sehen, dass es jetzt deutlich einfacher ist, Vorteile und Einsparungen tatsächlich zu verfolgen, weil sich Datenpunkte viel präziser verarbeiten und kennzeichnen lassen, zum Beispiel in einer Post-Vertrags-Umgebung durch SKU-Rationalisierung. Das ist ein Bereich, in dem wir aktuell intensiv arbeiten. KI beschleunigt diese präzise Kategorisierung und vertieft sie sogar auf zwei oder drei Ebenen mehr als bisher. Sie kann dabei auch öffentliche Daten, wie Kataloge von Lieferanten, nutzen.

    Derzeit ist das Lesen von Rechnungen mit KI sehr einfach, und auch das Lesen von Verträgen und die damit verbundenen Analysen sind besonders leistungsstark. Das ist einer der ersten großen Erfolge, die wir bei unseren Kunden beobachten können. Durch das schnellere Einlesen von Daten in Datenbanken und das bessere Erkennen von Mustern lassen sich Fragen „Was oder wie kaufe ich ein?“ und „Wo liegen Chancen?“ viel schneller beantworten. Das ist sehr wirkungsvoll und führt zu hohen Renditen.